OVG Lüneburg | 10 LB 7/14 | 19.11.2015
- Details
- vom Donnerstag, 19. November 2015 01:00
Bibliografie
Inhalt» Bibliografie» Entscheidungstext» Verfahrensgang» Inside-Zitate» Outside-Zitate
Gericht: | |
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG Lüneburg) | |
Aktenzeichen: | Entscheidungsdatum: |
10 LB 7/14 | 19.11.2015 |
Spruchkörper: | Entscheidungsform: |
10. Senat | Urteil |
ECLI: | |
ECLI:DE:OVGNI:2015:1119.10LB7.14.0A | |
Normen: | Jur. Bedeutung: |
§ 5 Abs. 1 Nr. 2a WaffGV-SUCHE, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGOV-SUCHE, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGOV-SUCHE, § 154 Abs. 1 VwGOV-SUCHE, § 167 VwGOV-SUCHE, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPOV-SUCHE | |
Schlüsselwörter: | Volltext: |
V-SUCHEVertrieb, Transport, Pflichten, Handel, Gefahr, Importeur, Landwirt, Markt, Sorgfaltspflicht, Internet | |
Referenz: | Permalink: |
LDJR 2015, 5973 https://lexdejur.de/ldjr5973 | LINK (+/-) |
Zitierweise: | Tipp: |
OVG Lüneburg, Urteil vom 19. November 2015 - 10 LB 7/14 [ECLI:DE:OVGNI:2015:1119.10LB7.14.0A] - lexdejur OVG Lüneburg, Urteil vom 19. November 2015 - 10 LB 7/14 - lexdejur | ECLI (+/-) |
Entscheidungstext
[ECLI:DE:OVGNI:2015:1119.10LB7.14.0A]
LDJR 2015, 5973
V o r s p a n n
In der Verwaltungsrechtssache
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
g e g e n
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit [...],
- Beklagte und Berufungsklägerin -
w e g e n
Pflanzenschutzes
hier: Widerruf einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung und Parallelhandelsgenehmigung
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 10. Senat - [...] auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2015 für Recht erkannt:
T e n o r
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 10. April 2013 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
- [1]
- Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung.
- [2]
- Diese Verkehrsfähigkeitsbescheinigung erteilte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (= Bundesamt) der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2008 auf der Grundlage von § 16c PflSchG 1998 (= a. F.) für ein von der Klägerin „Ares Flo“ genanntes Pflanzenschutzmittel unter der Zulassungsnummer F.. Die Bescheinigung bezog sich auf das in Großbritannien für die [G...], ein Unternehmen des [H...], unter der Zulassungsnummer 10768 bis Ende März 2009 zugelassene Pflanzenschutzmittel Kerb Flo (= „Kerb Flo alt“) als sog. Importmittel. Als Referenzmittel wurde das in Deutschland zugelassene herstelleridentische Pflanzenschutzmittel Kerb Flo mit der deutschen Zulassungsnummer I. bezeichnet. „Kerb Flo alt“ enthält den Wirkstoff Propyzamid mit einem Gehalt von 400 g/l sowie das Frostschutzmittel Ethylenglykol; es hat laut Zulassung eine hellbraune Farbe. Die der Klägerin erteilte Bescheinigung lautet deshalb zu Ziffer 1 auszugsweise wie folgt:
- [3]
- „Es wird festgestellt, dass das im Ursprungsmitgliedstaat Großbritannien unter der Zulassungsnummer J. zugelassene Pflanzenschutzmittel Kerb Flo K verkehrsfähig ist. K Es darf von Ihnen auf Grund dieser Feststellung unter der Bezeichnung Ares Flo eingeführt und in den Verkehr gebracht werden. “ Bei dem/den in Rede stehenden Pflanzenschutzmittel/n handelt es sich um selektive Herbizide zur Bekämpfung von Unkräutern u.a. in Winterraps, Salaten und verschiedenen Obstsorten, und zwar überwiegend zur Winteranwendung.
- [4]
- Zum Verfahrensablauf im Einzelnen hat die Klägerin geltend gemacht, noch vor der Erteilung der o.a. Verkehrsfähigkeitsbescheinigung im Jahr 2007 bei der Fa. [K...] eine Vergleichsuntersuchung in Auftrag gegeben zu haben. Laut deren Gutachten vom 13. November 2007 wurde im Mai 2006 hergestelltes „Kerb Flo alt“, also mit der britischen Zulassungsnummer J., mit einem nicht näher konkretisierten „Propyzamid 400 g/l SC ohne Chargenummer“ - nach Angaben der Klägerin „eine Probe Propyzamid der Fa. L.“ (vgl. Bl. 230 Beiakte = BA) bzw. „eines seinerzeit von der Fa. [M...] angebotenen Pflanzenschutzmittels“ (vgl. Bl. 251 BA) - jeweils mit weißer Farbe verglichen. Im Ergebnis wurde die Identität zwischen „Prüf- und Vergleichsgegenständen“ festgestellt.
- [5]
- Im Jahr 2008 (vgl. Bl. 58, 78 Gerichtsakte = GA) bzw. im Jahr 2009 (vgl. Bl. 87 BA) bzw. „im Herbst 2008/Anfang 2009“ (vgl. Bl. 152, 157 GA) habe sie, die Klägerin, sich dann mit Herrn N. [O...], der in Großbritannien u.a. für die Fa. [M...] Ltd. tätig sei, über die Lieferung des Pflanzenschutzmittels Kerb Flo mit der britischen Zulassungsnummer J., also „Kerb Flo alt“, zum Literpreis von 20 EUR geeinigt. Nachdem Herr [O...] darauf hingewiesen habe, die Ware aus Beständen des Herstellers in 200 Liter-Fässern zu beziehen, sei im Hinblick auf die Vermarktbarkeit in Deutschland die Umfüllung in 5 LiterGebinde verabredet worden. Die Rechnungsstellung habe durch die in Österreich ansässige Firma [P...] GmbH, die die Finanzierung der Geschäfte der Firma [M...] übernommen habe, erfolgen sollen, die Lieferung ungeachtet dessen unmittelbar aus Großbritannien „aus den Beständen des Herrn O.“ (vgl. Bl. 152 GA). Formell sei „P.“ Verkäufer gewesen (vgl. Bl. 252 BA, 164 GA) bzw. sei bei der FaQ. bestellt worden (vgl. Bl. 78 GA). Schriftliche Unterlagen über die Bestellung liegen nicht vor.
- [6]
- Auf vorherige Bitte der Klägerin an die nach ihren Angaben ebenfalls von Herrn [Pz...] geleitete Fa. R. (vgl. Bl. 80 f., 86 BA) gab die [P...] GmbH allerdings mit Schreiben vom 10. Februar 2011 an (vgl. Bl. 68 BA), dass die Klägerin bei ihr „im Jahr 2009 K ein in Großbritannien zugelassenes Produkt, Kerb Flo, MAPP S., bestellt“ habe. Bei diesem „Kerb Flo neu“ mit der Zulassungsnummer S. handelt es sich um das nicht mit dem o.a. „Kerb Flo alt“ mit der britischen Zulassungsnummer J. identische, ab dem September 2008 in Großbritannien zugelassene Nachfolgeprodukt (vgl. Bl. 176 BA). Sie, die [P...] GmbH, hätte die Lieferung des Produkts über die Fa. [M...] Ltd. organisiert, u.a. auch der Chargen 3909311001 und 3908316005. Nach Reklamationen habe die Fa. [M...] „nochmals die Bezugsquellen geprüft und bestätigt, dass es sich bei dem Produkt um original Dow Kerb Flo mit der MAPP Nr. S. handelt“. Eine mit gerichtlicher Verfügung vom 21. Februar 2014 von der Klägerin erbetene Stellungnahme dazu, ob es bei der im Schreiben angegebenen Zulassungsnummer vermeintlich um einen Irrtum handele, ist nicht erfolgt.
- [7]
- In der Beiakte findet sich mit Datum vom 10. August 2009 eine weitere von der Klägerin bei der Fa. [T...] Service in Auftrag gegebene Vergleichsstudie von „britischem Kerb Flo alt und neu“; beide seien danach mit brauner Farbe identisch (vgl. Bl. 12 der Studie, Bl. 243 BA).
- [8]
- Die Lieferung sei - so die Klägerin selbst weiter - dann tatsächlich entsprechend ihres o.a. Auftrages in der Zeit vom 31. August bis 4. November 2009 erfolgt. Die einzelnen gelieferten Gebinde hätten wegen der vereinbarten Umfüllung keine Originalkennzeichnung getragen. Die Lieferungen seien auf Paletten mit jeweils 800 Liter Ware erfolgt. Insgesamt habe sie rund 19.200 Liter importiert.
- [9]
- Zu den Einzellieferungen legte die Klägerin auf Aufforderung des Bundesamtes Rechnungen und Frachtbriefe vor:
- [10]
- Im Einzelnen handelt es sich um Rechnungen der Fa. [P...] GmbH per E-Mail vom 2. September 2009 (vgl. Bl. 127 BA) über 4.800 Liter „Propyzamide 400 SC“, vom 25. September 2009 (Lieferdatum 31. August 2009) über 10 Paletten je 800 Liter zu 20 EUR/Liter „Propyzamide 400 SC“ (Bl. 69 BA), vom 2. Oktober 2009 (Lieferdatum = Rechnungsdatum) über 4 Paletten je 800 Liter zu 20 EUR/Liter „Propyzamide 400 SC“ (Bl. 71 BA), vom 7. Oktober 2009 (Lieferdatum = Rechnungsdatum) über 8 Paletten je 800 Liter zu 20 EUR/Liter „Propyzamide 400 SC“ (Bl. 73, 130 BA), vom 16. Oktober 2009 (vgl. Bl. 136 BA) über 1.600 Liter, vom 28. Oktober 2009 (Bl. 144 f. BA), vom 30. Oktober 2009 (Lieferdatum = Rechnungsdatum) über 2 Paletten je 800 Liter zu 20 EUR/Liter „Propyzamide 400 SC“ (Bl. 76,149 BA) und vom 3./4. November 2009 (Lieferdaten 30. Oktober/6. November 2009) über je 2 Paletten je 800 Liter zu 20 EUR/Liter „Propyzamide 400 SC“ (Bl. 77, 150 BA) sowie der Fa. U. (über Transportleistungen) vom 6. Oktober 2009 (Bl. 164 BA) über „8 Pallets Pizza“, über Propyzamide und Propyzamide 400 SC jeweils vom 31. Oktober 2009 (Bl. 163, 165 - 167 BA), und vom 4. November 2009 als Liefertag (Bl. 168 BA) über Propyzamide 400 SC.
- [11]
- Frachtbriefe liegen vor von der o.a. Fa. V. als Absender an die Klägerin vom 31. August 2009 über 16 nicht näher bezeichnete „palets“ (Bl. 70, 101, 123 BA), von der Fa. Goldengrass an die Klägerin vom 5. Oktober 2009 u.a. über „Pallets Propyzamine“ (Bl. 72, 99, 121 BA), ein teilweise unleserlicher (franz.) über die Lieferung von „ 8 Pal Pizza Propyzamide 400 SC“ Ankunft am 7. Oktober 2009 (Bl. 74, 96, 118 BA), vom 6. Oktober 2009 (Bl. 75, 97, 119 BA) und vom 28. Oktober 2009 (Bl. 78, 94, 116 BA).
- [12]
- Weiter findet sich ein Schreiben der Fa. [P...] GmbH an die Klägerin zu Händen einer belgischen Anschrift vom 3. November 2009 u.a. über die Lieferung von „Pizza 400 SC - Propyzamide 400 SC“ (Bl. 147 BA). Bei „Pizza 400 SC“ handelt es sich um ein seit dem 24. März 2009 auf die Fa. Goldengrass Ltd. in Großbritannien zugelassenes Parallelhandelsprodukt für „Kerb Flo neu“ (vgl. Bl. 179 BA sowie Bl. 5 des Widerspruchsbescheides).
- [13]
- Die Klägerin führte dazu aus, es sei international üblich, (nur) den Wirkstoff anzugeben. Mangels Kennzeichnung der Ware als Kerb Flo hätten auch die Frachtbriefe diese Bezeichnung nicht enthalten dürfen, denn für den Transport müssten sie mit der auf der Ware angebrachten Aufschrift übereinstimmen.
- [14]
- Es sei richtig, dass ein Lagerarbeiter im ca. 30 Kilometer vom Verwaltungssitz der Klägerin entfernten Lager [W...] den auch im Frachtbrief vom 7. Oktober 2009 verzeichneten Aufdruck „Pizza“ erkannt und beim Geschäftsführer der Klägerin nachgefragt habe; man habe aber nichts von einer Zulassung eines Produkts namens „Pizza 400 SC“ gewusst, sondern angenommen, es habe sich um eine falsche Kennzeichnung gehandelt. Denn auf der Rechnung (der Verkäuferin) habe sich kein entsprechender Hinweis befunden. Nach einem Gesprächsvermerk des Bundesamtes vom 25. Januar 2012 gab der Geschäftsführer der Klägerin auf Nachfrage am Vortage mündlich an, die äußere Verpackungsfolie der am 7. Oktober 2009 gelieferten Palette mit Pflanzenschutzmitteln sei mit der Aufschrift „Pizza“ versehen gewesen. Deshalb sei diese Bezeichnung auch im Lieferschein vermerkt gewesen. Die einzelnen Gebinde und Umkartons hätten hingegen die Bezeichnung des Wirkstoffs getragen. Auf Nachfrage von Mitarbeitern, die mit der Überprüfung der Ware betraut gewesen seien, habe er die Ware wegen der Auszeichnung der Gebinde als „Propyzamide“ für in Ordnung befunden.
- [15]
- Über die Bestellungen und Lieferungen erfolgte außerdem zwischen der Klägerin sowie den Firmen [M...] und [P...] E-Mail-Verkehr. Darunter befindet sich auch eine u.a. an den Geschäftsführer der Klägerin gerichtete E-Mail der Fa. [X...] vom 3. November 2009, in deren Anlage die Lieferung von „Pizza 400 SC - Propyzamide 400 SC“ angekündigt wird; wegen der Einzelheiten insoweit wird auf die Kopien in der Beiakte verwiesen (ab Bl. 126 ff., 146 f.).
- [16]
- Mit Schreiben vom 9. November 2009 machte die Firma [Y...] GmbH als Zulassungsinhaberin für das deutsche Kerb Flo der Klägerin gegenüber wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend; eine Charge des von der Klägerin eingeführten Mittels sei u.a. schon wegen unterschiedlicher Farbe (weiß statt braun) nicht mit dem Referenzmittel identisch. Zudem habe ein Marker gefehlt. Die Klägerin stellte daraufhin nach ihren Angaben zunächst den weiteren Vertrieb ein und teilte dies der Fa. [Y...] GmbH mit Schreiben vom 16. November 2009 mit.
- [17]
- Außerdem habe sie gemeinsam mit dem Vorlieferanten die Fa. [K...] mit einer weiteren Vergleichsuntersuchung von Ares Flo und dem deutschen Kerb Flo beauftragt. Nach dem vorläufigen - nicht schriftlich dokumentierten - Ergebnis der Laboruntersuchung vom 7. Dezember 2009 hätten beim deutschen Kerb Flo als Referenzmittel Verunreinigungen im Wirkstoffmolekül vorgelegen. Sie, die Klägerin, habe die Untersuchung daraufhin beenden lassen, die Ware bei ihren Kunden zurückgerufen und sich gegenüber der Firma [Yz...] GmbH am 9. Dezember 2009 unter Zusage der Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet, es zu unterlassen, das Pflanzenschutzmittel Ares Flo in Deutschland in Verkehr zu bringen, sofern es nicht von der erteilten Verkehrsfähigkeitsbescheinigung gedeckt sei. Im Zuge des Rückrufs habe sie eine Teilmenge ihres Produkts zurückerhalten.
- [18]
- Auch hierzu finden sich in der Beiakte Kopien des E-Mail-Verkehrs zwischen der Klägerin sowie den Firmen [M...] und [P...]. So nahm Herr [O...] mit E-Mail vom 18. November 2009 u.a. zu den aus seiner Sicht gegebenen Unterschieden zwischen „Kerb Flo alt und neu“ mit britischer Zulassung Stellung; es hätte sich inhaltlich abgesehen von der von weiß auf braun geänderten Farbe keine Änderung ergeben. Der Wirkstoff in Ares Flo sei sogar reiner als „the Dow material“; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die E-Mail, Bl. 153 der Beiakte, verwiesen. Die Firma [P...] GmbH zahlte schließlich einen Betrag in Höhe von 60.000 EUR an die Klägerin, über die diese am 22. September 2010 nachträglich eine entsprechende Rechnung wegen „Kosten durch Qualitätsmangel bei Propyzamid“ ausstellte (vgl. Bl. 61 GA, Bl. 160 BA).
- [19]
- Im Rahmen des Pflanzenschutzkontrollprogramms (vgl. dazu das entsprechende, im Internet veröffentlichte Handbuch des Bundesamtes) erhielt das Bundesamt am 3. September 2010 eine Verdachtsprobe des Pflanzenschutzmittels Ares Flo der Klägerin mit einem Produktionsdatum vom 23. Juli 2009 und der Chargennummer 3909311001. Es handelte sich um eine angebrochene Probe eines 5 Liter Gebindes.
- [20]
- Das Produkt war einem Landwirt bei der Unkrautbekämpfung wegen der fehlenden Wirkung aufgefallen, worauf er sich an die Landwirtschaftskammer in SchleswigHolstein gewandt hatte. Das Bundesamt stellte fest, dass in der untersuchten Ware statt des Frostschutzmittels Ethylenglykol, das laut Zulassung in Großbritannien für „Kerb Flo alt“ vorgeschrieben ist, das Frostschutzmittel Propylenglykol enthalten war. Zudem lag der Wirkstoffgehalt knapp oberhalb der an sich zulässigen Schwankungsbreite und war die Oberflächenspannung geringer als in der Zulassung beschrieben. Schließlich sei die Probe „cremeweiß“ bei einem Sollwert von „hellbraun“ gewesen.
- [21]
- Das untersuchte Pflanzenschutzmittel sei nicht verkehrsfähig.
- [22]
- Mit Schreiben vom 29. September 2010, 26. Januar 2011, 17. März 2011 und 22. September 2011 hörte das Bundesamt die Klägerin deshalb schriftlich zum Verdacht an, ein nicht der Zulassung ihres Importmittels im Ursprungsmitgliedstaat entsprechendes Pflanzenschutzmittel in den Verkehr gebracht zu haben, so dass die Verkehrsfähigkeitsbescheinigung zu widerrufen sei. Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 22. November 2010, 24. Februar 2011, 30. März 2011 und 21. Oktober 2011.
- [23]
- Mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 18. November 2011 widerrief das Bundesamt die der Klägerin erteilte Verkehrsfähigkeitsbescheinigung wegen missbräuchlicher Verwendung. Die Klägerin habe mit dem vom Bundesamt auf Veranlassung aus Schleswig-Holstein untersuchten Produkt ein Pflanzenschutzmittel als Ares Flo in Verkehr gebracht, das wegen stofflicher Abweichungen - das zugelassene Frostschutzmittel habe gänzlich gefehlt - nicht von der erteilten Verkehrsfähigkeitsbescheinigung abgedeckt gewesen sei. Der Klägerin sei die fehlende Übereinstimmung der von ihr in Verkehr gebrachten Ware mit dem in Großbritannien zugelassenen „Kerb Flo alt“ auch bewusst gewesen. Denn die ihr gelieferte Ware sei nie als Kerb Flo bezeichnet worden. Der einzige in den Dokumenten verwandte Handelsname sei stattdessen in einem Frachtbrief vom 7. Oktober mit „Pizza“ der eines abweichenden Mittels. Ob tatsächlich dieses oder noch ein anderes Mittel geliefert worden sei und ob die Klägerin das richtige Mittel bestellt habe, sei unerheblich. Sie sei - zumal als auf den Parallelhandel mit Pflanzenschutzmitteln spezialisiertes Unternehmen mit nahezu 200 Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen - gehalten gewesen, ihre Betriebsabläufe so zu organisieren, dass ihre Mitarbeiter die Lieferung eines anderen Pflanzenschutzmittels hätten erkennen müssen.
- [24]
- Die Klägerin legte am 19. Dezember 2011 Widerspruch ein. Sie bestritt die fehlende Übereinstimmung ihres Ares Flo mit dem britischen „Kerb Flo alt“; bereits dessen Herstellung könne sich geändert haben. Jedenfalls habe sie diese Abweichung nicht gekannt und nicht - wie erforderlich - bewusst und gewollt gehandelt. Ihr sei vielmehr im Gegenteil von der [P...] GmbH sowie Herrn [O...] die Identität beider Mittel versichert worden. Zumindest sei der Sofortvollzug aufzuheben.
- [25]
- Das Bundesamt folgte dem letztgenannten Antrag nicht und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2012, zugestellt am 18. Mai 2012, nunmehr gestützt auf § 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PflSchG n. F. als unbegründet zurück. Die Klägerin habe ein nicht zugelassenes Generikum erhalten und in den Verkehr gebracht. Denn Abweichungen in den Beistoffen - wie sie hier durch das Bundesamt festgestellt worden seien - seien nur durch eine bewusste Entscheidung des Formulierers zu erklären, was auf den „Nachbau“ eines Pflanzenschutzmittels hinweise. Für ein bewusstes Fehlverhalten spreche auch, dass zwischenzeitlich fünf der Firma Z. erteilte Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen wegen Missbrauchs widerrufen worden seien.
- [26]
- Der Geschäftsführer der Klägerin habe zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Spätestens bei Erhalt einer Lieferung im Oktober 2009 mit der Aufschrift „Pizza“, die ihm nach eigener Einlassung zur Kenntnis gelangt sei, habe er für die Klägerin mit entsprechender Marktkenntnis skeptisch werden müssen, zumal die Zulassung von „Kerb Flo alt“ bereits seit dem 31. März 2009 abgelaufen gewesen sei. Auch dieser Umstand habe zu Zweifeln an der Identität der im Herbst 2009 gelieferten Ware führen müssen. Die gleichwohl bis zur Abmahnung gezeigte Untätigkeit belege, dass es der Klägerin im Zeitpunkt des Erwerbs und Vertriebs der Ware letztlich gleichgültig gewesen sei, ob es sich um Originalware oder ein Produkt unklarer Herkunft gehandelt habe, was ein bedingt vorsätzliches Handeln begründe.
- [27]
- Die Klägerin hat am 18. Juni 2012 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Über ihr bisheriges Vorbringen hinaus hat sie darauf hingewiesen, dass im Jahre 2009 noch kein Anlass bestanden habe, an der Seriosität von Herrn [O...] und der von ihm bestimmten Unternehmen zu zweifeln. Insbesondere seien ihm gegenüber Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen erst im Jahre 2011 widerrufen worden. Das Ende der Zulassung für „Kerb Flo alt“ zum März 2009 habe nicht ausgeschlossen, dass im Sommer und Herbst dieses Jahres noch größere Restmengen auf dem englischen Markt verfügbar gewesen seien, und habe deshalb keine Zweifel an der Identität der Ware wecken müssen. Der Widerruf einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung wegen missbräuchlicher Verwendung setze im Übrigen eine Absicht, also wenigstens direkten Vorsatz voraus, an dem es ihr erst recht gefehlt habe. Sämtliche Vorwürfe begründeten allenfalls einen fahrlässigen Sorgfaltspflichtverstoß. Es habe für einen Parallelhändler aber im Jahr 2009 nicht einmal normativ geregelte Pflichten gegeben, sich über die Identität seines Produkts zu informieren.
- [28]
- Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 18. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2012 aufzuheben. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
- [29]
- Sie hat noch einmal darauf verwiesen, dass es für den objektiven Tatbestand unerheblich sei, ob die bei der Untersuchung der Verdachtsprobe festgestellte zulassungsrelevante Abweichung hinsichtlich des verwandten Frostschutzmittels vom Hersteller oder einem Dritten stamme. Unabhängig hiervon fehlten jegliche Anhaltspunkte für eine bereits herstellerbedingte Abweichung. Von der Klägerin im Übrigen geltend gemachte Wirkstoffverunreinigungen seien mit der grundsätzlich zielgerichtet erfolgenden Änderung des Frostschutzmittels nicht vergleichbar; eine solche Änderung spreche für einen Nachbau. Weitere Indizien hierfür seien der Zeitabstand zwischen dem Ende der Zulassung (März) und der Lieferung (Herbst 2009), die Zahlung von 60.000 EUR durch die Verkäuferin an die Klägerin und die zwischenzeitlich gegen die Fa. [X...]. ergangenen Widerrufe. Subjektiv habe die Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Zwar müsse ein Parallelhändler die Zusammensetzung seiner Ware nicht im Einzelnen kennen. Um so wichtiger sei es für ihn jedoch, dass die bestellte Ware im Geschäftsverkehr eindeutig bezeichnet werde und die richtige Belieferung mit dieser Ware zu überwachen. Die Klägerin hätte daher jedenfalls die Belieferung mit „Pizza“ im Herbst 2009 ernsthaft überprüfen müssen, zumal ihr zu diesem Zeitpunkt das Auslaufen der Zulassung des nach ihren Angaben bestellten „Kerb Flo alt“ bekannt gewesen sei. Außerdem sei laut Lieferscheinen „Pizza“ nicht nur im Oktober, sondern nochmals im November 2009 geliefert worden; dies spreche entschieden gegen einen Irrtum. Angaben der Vorlieferanten seien spätestens im Herbst 2009 wenig glaubhaft gewesen.
- [30]
- Das Verwaltungsgericht Braunschweig - 2. Kammer - hat der Anfechtungsklage mit Urteil vom 10. April 2013 stattgegeben. Zwar sei der objektive Tatbestand des § 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PflSchG gegeben. Die Klägerin habe - zu einem im Urteil nicht näher bezeichneten - Zeitpunkt ein nicht von ihrer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung gedecktes Pflanzenschutzmittel in den Verkehr gebracht. Ein (bedingt) vorsätzliches Verhalten sei ihr aber nicht nachzuweisen. Welche Pflichten der Klägerin dabei obliegen, hat das Verwaltungsgericht nicht näher ausgeführt; dies sei nur für einen - hier unzureichenden - Sorgfaltspflichtverstoß erheblich. Sinngemäß ist es aber von der Annahme ausgegangen, dass der Klägerin als Parallelhändlerin jedenfalls keine Untersuchungspflichten oblägen. Es sei weder zu beanstanden, dass der Klägerin die Mittel lediglich unter der Angabe des Wirkstoffes geliefert worden seien, noch, dass sie auch Lieferungen von „Pizza“ akzeptiert habe. Die irrtümliche Annahme, sie habe jeweils das bestellte „Kerb Flo alt“ erhalten, werde weder durch die Tatsache erschüttert, dass dessen britische Zulassung bereits Ende März 2009 ausgelaufen sei, noch durch die gegenteilige Angabe im Schreiben der Verkäuferin vom 10. Februar 2011 über die Lieferung von „Kerb Flo neu“. Es handele sich - aus vom Verwaltungsgericht nicht näher benannten Gründen - um ein „Versehen“. Auch die Beklagte nehme nicht an, dass die Klägerin „Kerb Flo neu“ erhalten habe; dies hätte zudem durch die geänderte Farbe des Mittels auffallen müssen.
- [31]
- Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 27. Januar 2014 - 10 LA 43/13 - die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Es könne offen bleiben, ob der Klägerin im Zeitpunkt der Lieferung von „Pizza“ die Zulassung eines Mittels mit dem Namen „Pizza 400 SC“ bekannt gewesen sei. Jedenfalls vermöge auch sie nicht überzeugend zu erklären, warum ihr im Herbst 2009 das unter der Nummer 10768 zugelassene und nach ihren Angaben bestellte „Kerb Flo alt“ nicht allein mit der neutralen Bezeichnung des in allen in Betracht kommenden Mitteln enthaltenen Wirkstoffes “Propyzamide“, sondern nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch auf Lieferscheinen mit den Zusätzen „400 SC“ und insbesondere mit dem - auch nach den eigenen Angaben der Klägerin für ein Pflanzenschutzmittel sehr ungewöhnlichen - Namen „Pizza“ geliefert worden sein soll. Wenn der Geschäftsführer der Klägerin auf einen entsprechenden ausdrücklichen Hinweis eines Mitarbeiters gleichwohl keine Klärung der Identität des gelieferten mit dem allein verkehrsfähigen Pflanzenschutzmittel veranlasst, sondern es in den Verkehr gebracht habe, so spreche dies dafür, dass ihm die Identität letztlich egal gewesen sei und er eine Abweichung billigend in Kauf genommen habe, nach dem zutreffenden Maßstab des Verwaltungsgerichts also ein Missbrauch zu bejahen sei. Die erst nach dem Inverkehrbringen erfolgte Rückfrage bei dem Vorlieferanten nach der Identität reiche insoweit nicht aus. Ebenso wenig überzeuge der Vortrag, angenommen zu haben, es habe sich nur um eine versehentlich falsche Etikettierung gehandelt, die nichts mit dem gelieferten Mittel zu tun habe.
- [32]
- Die Beklagte hat ihre Berufung am 19. Februar 2014 unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Zulassungsverfahren hinsichtlich des Vorliegens ernstlicher Zweifel sowie auf die Begründung des Senatsbeschlusses vom 27. Januar 2014 begründet. Insbesondere sei die abschließende Feststellung des Verwaltungsgerichts falsch. Könne man bei isolierter Betrachtung ggf. noch am Vorsatz der Klägerin zweifeln, so jedenfalls nicht mehr bei der gebotenen Gesamtschau. Im Übrigen müsse die Frage gestellt werden, welche Aspekte die Klägerin eigentlich habe glauben lassen dürfen, OriginalWare geliefert zu bekommen. Soweit die Ware nicht lediglich mit dem Wirkstoff umschrieben worden sei, habe sie nämlich jeweils einen anderen Namen als „Kerb Flo (alt)“ getragen. Auf gerichtliche Nachfrage ist mit Schriftsatz vom 7. September 2015 ergänzend vorgetragen worden, dass Kerb Flo des AA. jeweils cremefarben/hellbraun, nicht aber weiß gewesen sei. Die Farbe sei bewusst auf einen Beistoff zurückzuführen.
- [33]
- Die Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 10. April 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
- [34]
- Wiederholend bzw. vertiefend zu ihrem erstinstanzlichen und zum Zulassungsvorbringen vertritt die Klägerin die Ansicht, der objektive Widerrufstatbestand setze voraus, dass das von ihr vertriebene Ares Flo tatsächlich aus illegaler Herkunft stamme sowie in seiner stofflichen Zusammensetzung nicht mit Kerb Flo im damaligen Toleranzbereich übereinstimme. Dies setze zunächst den nicht erbrachten Nachweis voraus, dass sich der Hersteller des Originals zulassungskonform verhalten habe. Angaben des Herstellers hierzu seien wegen der Wettbewerbssituation nicht objektiv und verlässlich. Jedenfalls sei der subjektive Widerrufstatbestand nicht verwirklicht worden; ihr sei es nicht egal gewesen, ob ihr Produkt verkehrsfähig gewesen sei. Aufgrund der Bezeichnung als „Pizza“ sei die Lieferung eines anderen Pflanzenschutzmittels vielmehr nicht einmal erwogen worden.
- [35]
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Ende des Dokumentauszugs
Sie benötigen den Volltext?
Bitte melden Sie sich an.
Sie haben noch kein Konto? Sichern Sie sich jetzt Ihre persönliche Lizenz JudikatePRO©. Jetzt verbindlich bestellen!