VG Karlsruhe | 5 K 1888/12 | 19.02.2014
- Details
- vom Mittwoch, 19. Februar 2014 01:00
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Gericht: | |
Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG Karlsruhe) | |
Aktenzeichen: | Entscheidungsdatum: |
5 K 1888/12 | 19.02.2014 |
Spruchkörper: | Entscheidungsform: |
5. Kammer | Urteil |
ECLI: | |
ECLI:DE:VGKARLS:2014:0219.5K1888.12.0A | |
Normen: | Jur. Bedeutung: |
§ 19 WaffGV-SUCHE, § 42 Abs. 1 WaffGV-SUCHE, § 42 Abs. 2 WaffGV-SUCHE, § 4 Abs. 1 Nr. 5 WaffGV-SUCHE, § 4 Abs. 1 Nr. 3 WaffGV-SUCHE, § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffGV-SUCHE | |
Schlüsselwörter: | Volltext: |
V-SUCHEWaffenschein, Internet, Landeskriminalamt, Schusswaffe, Gefahr, Bundeskriminalamt, Bedürfnis, Führen, Besitz, Veranstaltung | |
Referenz: | Permalink: |
LDJR 2014, 1208 https://lexdejur.de/ldjr1208 | LINK (+/-) |
Zitierweise: | Tipp: |
VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Februar 2014 - 5 K 1888/12 [ECLI:DE:VGKARLS:2014:0219.5K1888.12.0A] - lexdejur VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Februar 2014 - 5 K 1888/12 - lexdejur | ECLI (+/-) |
Entscheidungstext
[ECLI:DE:VGKARLS:2014:0219.5K1888.12.0A]
LDJR 2014, 1208
V o r s p a n n
In der Verwaltungsrechtssache
- Kläger -
g e g e n
Land Baden-Württemberg [...],
- Beklagter -
w e g e n
Verlängerung des Waffenscheins
hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe - 5. Kammer - [...] auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2014 für Recht erkannt:
T e n o r
1. Die Verfügung des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 26.04.2012 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.07.2012 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den beantragten Waffenschein zu erteilen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
- [1]
- Der Kläger, der Vorsitzende des […], begehrt die Neuerteilung seines Waffenscheins.
- [2]
- Dem am […] geborenen Kläger wurden erstmals am 05.12.1973 ein bis zum 04.12.1978 gültiger Waffenschein zum Führen von Handfeuerwaffen und eine Waffenbesitzkarte für einen Revolver ausgestellt. Am 01.02.1980 beantragte er unter Bezugnahme auf seine Tätigkeit im […] die Verlängerung der Waffenbesitzkarte. Die Kriminalaußenstelle Schwetzingen nahm am 13.02.1980 wie folgt Stellung: „Polizeilicherseits müssten bei Bekanntwerden weiterer konkreter Gefährdungstatsachen Schutzmaßnahmen erörtert werden. Diese wären unter Umständen nicht erforderlich, wenn […] zum eigenen Schutz eine Waffe tragen dürfte.“
- [3]
- Der Kläger legte am 12.06.1980 vor dem Prüfungsausschuss des Regierungspräsidiums Karlsruhe die Sachkundeprüfung nach § 31 WaffG ab. Ihm wurde in der Folgezeit der Waffenschein bis zum 28.11.2007 verlängert bzw. neu erteilt.
- [4]
- Mit Schreiben vom 03.12.2007 teilte der Vertreter des […] dem Landratsamt mit: Nach wie vor gingen beim […] gegen den Kläger gerichtete Droh- und Schmähbriefe mit bedrohenden Zusätzen in erheblicher Anzahl ein - z. B. mit Formulierungen wie „Ihr Zigeuner-Drecksgesocks…., man hätte euch alle umbringen sollen …“ Hinzugekommen seien die Drohungen auf Internet-Seiten und -foren rechtsextremistischer Täter. Dort seien unter ausdrücklicher Erwähnung des Namens des Klägers Morddrohungen („Sonderbehandlung“, „Blut auf dem Asphalt“) und Drohungen mit Gewalt zu finden. Das Regierungspräsidium teilte dem Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis mit Schreiben vom 01.02.2008 mit, dass der Waffenschein zu verlängern sei, weil eine konkrete Gefährdung nicht ausgeschlossen werden könne. Der Waffenschein wurde daraufhin zuletzt bis zum 10.03.2011 verlängert.
- [5]
- Der Kläger beantragte am 31.01.2011 die Verlängerung der Geltungsdauer seines Waffenscheins. Das Regierungspräsidium Karlsruhe teilte dem Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis mit Schreiben vom 15.06.2011 mit: Sicherlich gehöre der Vorsitzende des […] durch seine exponierte Stellung in der Gesellschaft zu einer potentiellen funktionsimmanenten Risikogruppe. Weder das Bundeskriminalamt, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg noch das Amt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg hätten Erkenntnisse, die auf eine konkrete Gefährdung des Vorsitzenden des […] oder auf eine Bedrohung der Organisation hindeuteten. Übereinstimmend werde jedoch eine „abstrakte funktionsimmanente Gefährdung“ attestiert, der bereits mit der Überwachung der Einrichtung des […] und des Wohnhauses des Klägers im Rahmen des Streifendienstes begegnet werde.
- [6]
- Mit Schreiben vom 20.07.2011 teilte der juristische Mitarbeiter des […] dem Landratsamt mit: Der Kläger sei durch die Präsenz in Fernseh- und Pressemedien zu einer Symbolfigur im positiven für die Sinti und Roma in Deutschland, aber auch im negativen schlechthin geworden. Er werde deshalb als Person pauschal und unsachlich für Vorgänge im Zusammenhang mit Angehörigen der Minderheit verantwortlich gemacht und sei aufgrund dieser Zuschreibungen die Zielscheibe von Wut, Hass und Bedrohungen und Schmähungen. Neben Drohbriefen, die den Kläger namentlich angriffen, ergebe sich ein Gefährdungspotential aus der Tatsache, dass feindlich gesinnte Täter sich mit Angriffen auf die Person des Klägers großer öffentlicher Aufmerksamkeit und Presseschlagzeilen sicher sein könnten. Dabei gehe eine besondere Gefahr von nicht voll zurechnungsfähigen Personen aus, die aufgestaute Wut- und eventuelle Geltungssucht an der Person des […] abreagieren wollten. Rassistische Hetze gegen Sinti und Roma (ebenso wie gegenüber den Juden) habe sich in den letzten Jahren hin zu mehr Gewaltandrohungen bis hin zu Mordaufrufen verschlimmert. Sinti und Roma seien verstärkt im Internet Ziel rassistischer Hetze und Gewaltaufrufen. Ganz besonders besorgniserregend sei dabei der von Neonazigruppen und Rechtsextremisten organisierte Vertrieb von Musik und Musikvideos, die nicht nur Hass und Hetze in den Texten enthielten, sondern auch mit den Bildern offen zur Gewaltanwendung gegen Sinti und Roma aufriefen, immer wieder auch mit Hinweisen auf den Nationalsozialismus und dessen Vernichtungspolitik. Als Beispiele sei das Altamedia-Forum vom 15.04.2010 zu nennen sowie das „Forum deutsches Vaterland“, abgerufen am 20.05.2007. Für besonders gefährlich werde die Verbreitung und der Vertrieb des Musikvideos der rechtsextremistischen Rockgruppe „Landser“ gehalten, die in Deutschland als kriminelle Vereinigung verurteilt worden seien und deren Musik als jugendgefährdend verboten sei. Dennoch sei es möglich, über rechtsextremistische Plattformen tausendfach das Stück „Zigeunerpack“ aus dem Internet herunterzuladen, wobei das Video unverhohlen zum Massakrieren von Sinti und Roma aufrufe.
- [7]
- Das Landeskriminalamt teilte mit Schreiben vom 28.12.2011 dem Innenministerium mit: Dem Bundeskriminalamt lägen aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität keine Erkenntnisse vor, die auf eine konkrete Gefährdung des […] hindeuteten und über eine abstrakte funktionsimmanente Gefährdung hinausgingen. Im Rahmen der Ermittlungen zum NSU habe der „[…]“ festgestellt werden können. Der Kläger sei im Rahmen dieser Ermittlungen nicht namentlich feststellbar gewesen. Unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse zum NSU sei eine aus der Erfassung der Daten resultierende konkrete Gefährdung der Einrichtung des […] derzeit nicht erkennbar.
- [8]
- Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis lehnte mit Verfügung vom 26.04.2012 den Antrag des Klägers vom 17.01.2012 auf Erteilung eines Waffenscheins gemäß § 10 Abs. 4 i.V.m. § 19 Abs. 2 des Waffengesetzes (WaffG) ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Das Waffengesetz fordere eine absolute restriktive Handhabung bei der Erteilung waffenrechtlicher Erlaubnisse. Bei einer realistischen Betrachtung der gegebenen Umstände müsse sich eine überdurchschnittliche Gefährdung ergeben. Zur Begründung dieser Umstände reiche regelmäßig eine bloße abstrakte Gefährdung nicht aus. Eine polizeiliche Gefährdungsanalyse bestätige, dass der Kläger nicht überdurchschnittlich gefährdet sei. Die vorgetragenen Drohschreiben gegen Sinti und Roma aus dem Internet seien älteren Datums. Nach Auskunft des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg seien bisher noch keine Übergriffe hinsichtlich der Sinti und Roma und insbesondere auf die Person des Klägers bekannt geworden. Auch die Auswertung der bei der Terrorzelle „NSU“ aufgefundenen Unterlagen führten zu keinem anderen Ergebnis. Dem Bundeskriminalamt lägen auch keine Anhaltspunkte vor, dass die in den Internet-Beiträgen enthaltenen unterschwelligen Drohungen in konkrete Taten einmünden könnten.
- [9]
- Der Kläger legte am 08.05.2012 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die besondere Gefährdung der Person des […] sei in den vergangenen Jahren immer bejaht worden und es sei völlig unverständlich, dass gerade jetzt, wo sich die Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene zunehmend manifestiere und in den Mordtaten der NSU eskaliere, die besondere Gefährdung für einen Repräsentanten der Zielgruppe der Neonazis verneint werde. Das jüngste gegen „[…]“ gerichtete Schreiben voller Hass und rassistischer Rachsucht sei heute mit Fax und Email beim […] eingetroffen. In weiteren vorgelegten Schreiben aus dem Jahr 2010 und den davorliegenden Jahren sei zum Kampf „gegen Sinti und Roma“ aufgerufen worden und es sei von „Umbringen“ die Rede. Er werde als Person oft pauschal und unsachlich für Vorgänge im Zusammenhang mit Angehörigen der Minderheit verantwortlich gemacht und aufgrund dieser Zuschreibungen sei er die Zielscheibe von Wut, Hass, Bedrohungen und Schmähungen. Neben den Drohbriefen, die ihn namentlich angriffen, ergebe sich ein Gefährdungspotential aus der Tatsache, dass feindlich gesinnte Täter sich mit Angriffen auf seine Person großer öffentlicher Aufmerksamkeit und Presseschlagzeilen sicher sein könnten. Dabei gehe eine besondere Gefahr von nicht voll zurechnungsfähigen Personen aus, die ihre aufgestaute Wut und eventuell Geltungssucht an der Person des […] abreagieren wollten. Der […] habe im Dezember 2002 ein namentlich an Herrn […] gerichtetes Schreiben erhalten, in dem der Verfasser „für eine harte Bestrafung der Sinti und Roma kämpfen will“. Darunter habe er ein Foto abgelichtet, das einen stehenden Mann vor zwei verstümmelten Leichen zeige. Dieser Mann halte in jeder Hand einen abgeschnittenen Kopf der Leichen. Sinti und Roma seien verstärkt im Internet zum Ziel rassistischer Hetze und Gewaltaufrufen geworden. Die rassistische Hetze gegen Sinti und Roma (ebenso wie gegenüber den Juden) habe sich in den letzten Jahren hin zu mehr Gewaltandrohung bis zu Mordaufrufen verschlimmert. Ganz besonders besorgniserregend sei dabei der von Neonazigruppen und Rechtsextremisten organisierte Vertrieb und Musik und Musikvideos, die nicht nur Hass und Hetze in den Texten enthielten, sondern auch mit den Bildern offen zur Gewaltanwendung gegen Sinti und Roma aufriefen, immer wieder auch mit Hinweisen auf den Nationalsozialismus und dessen Vernichtungspolitik. Im Gästebuch des […] im Internet fänden sich Eintragungen wie „Ihr Zigeunerwichser, Penner, Zigeunerabschaum, Wanderratten, Wichser, Drecksgesocks, assoziale Nomadenabschaumkultur usw.“. Auf der am 30.05.2007 abgerufenen rechtsextremistischen Internetseite „Forum deutsches Vaterland“ sei schon in der Titelzeile zu lesen gewesen: „Zigauner geben keine Ruhe“. Die Abwandlung der ohnehin belasteten Bezeichnung „Zigeuner“ mit dem Wort „Gauner“ sei eine gern und viel gebrauchte Schmähung der Rechtsextremisten. Weiter seien dort Nazizitate zu finden gewesen wie „Rasse, Blut, Bewusstsein und Rassestolz sind Rückgrat des Volkes“ und Sätze wie „Steht die Internationale der Klauzigeuner unter Artenschutz“. Dazu werde die Internetgemeinde zur Kommentierung aufgefordert und man könne dann als Kommentare lesen: „Sonderbehandlung und dann ist Ruhe! Wer mit zwei bis zehn Jahren zur Ratte erzogen wurde, bleibt das auch!“. Eine weitere Gefährdung ergebe sich auch vor dem Hintergrund der Vorgänge in Ungarn, wo der […] im letzten Jahr zusammen mit dem DVB und dem […] der Juden ein Hilfsprojekt für die Familien der Mordopfer durchgeführt habe. Er sei auch sehr häufig allein zu Termin in den alten und neuen Bundesländern unterwegs, in denen es z.B. in der letzten Zeit zu vielen Übergriffen von Neonazis auf die Denkmale für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma gekommen sei.
- [10]
- Das Regierungspräsidium Karlsruhe wies mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2012 den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Ohne Zweifel sei der Kläger aufgrund seiner Stellung Anfeindungen, Beleidigungen und Verleumdungen ausgesetzt. Das hätten auch das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt bestätigt. Beide Kriminalämter hätten jedoch übereinstimmend dahingehend Stellung genommen, dass über die abstrakte Gefahr aufgrund seiner Stellung im […] hinaus keine besondere Gefährdung gegeben sei. Die Staatsschutzabteilungen der Kriminalämter könnten keine konkreten Anhaltspunkte dafür feststellen, dass der Kläger selbst ein potentielles Opfer geplanter Straftaten darstellen könne. Auch die abscheulichen Taten der sogenannten NSU rechtfertigten nicht ohne weiteres die Neuerteilung eines Waffenscheines. Bei diesen Taten habe es sich ausnahmslos um heimtückische Morde gehandelt, bei denen die Opfer aus allernächster Nähe ohne jede Vorwarnung erschossen worden seien. Auch wenn diese Opfer eine Schusswaffe bei sich gehabt hätten, hätten sie keine Chance gehabt. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 19.07.2012 zugestellt.
- [11]
- Der Kläger hat am 15.08.2012 Klage erhoben. Er beantragt, die Verfügung des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 26.04.2012 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.07.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm den beantragten Waffenschein zu erteilen.
- [12]
- Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage ergänzend vor: Die vom […] vielfach bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg angezeigten Volksverhetzungs- und Bedrohungsdelikte seien deshalb eingestellt worden, weil die Täter nicht hätten ermittelt werden können. Dies ändere aber nichts daran, dass die Auskunft des Landeskriminalamts und der anderen Behörden insofern unrichtig sei. Nochmal darauf hingewiesen werde, dass der […] auf den aufgefundenen Listen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) vermerkt sei. Die rechtsextremistischen Gewaltaufrufe würden von dem Beklagten verharmlost. Die Behörden spielten jegliche Gefährdungslage von rechts immer noch herunter bzw. ließen sie einfach unbeachtet. Die zutage getretenen Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses belege dies. Seine besondere Gefährdung habe sich gerade in den letzten Jahren verstärkt und bestehe aktuell fort. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb gerade jetzt, wo sich die Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene zunehmend erhöhe und in den Mordtaten der NSU eskaliere, die besondere Gefährdung für einen Repräsentanten der Zielgruppe der Neonazis verneint werde. Die Gefährdungssituation, um die es gehe, bestünde nicht nur in abstrakter Form, wie es in den Bescheiden heiße. Er müsse sich zur Wahrnehmung vieler Terminverpflichtungen in Orten und Städten des ganzen Bundesgebietes aufhalten und sich dort auch tagsüber und am späten Abend im öffentlichen Raum bewegen. Dabei trete er immer wieder in öffentlichen und von Medien übertragenen Veranstaltungen gegen rechtsextremistische Gewalt und Propaganda auf, vielfach verbunden mit politischen Forderungen zu deren schärferer Bekämpfung (z. B. Ergänzung der Strafgesetzgebung gegen rassistisch motivierte Gewalt, Landtags- und Regierungs- Ausschussanhörungen, NPD-Verbot, Folgen aus NSU-Straftaten etc.). Dabei bestehe die konkrete Gefahr, dass er auf der Straße oder öffentlichen Plätzen bei Begegnungen mit gewalttätigen Neonazigruppen oder Einzelpersonen angegriffen werde. Entsprechende Gruppen und Einzelpersonen seien im Straßenbild gerade in den neuen Bundesländern sehr präsent und träten dort immer wieder durch gewalttätige Angriffe durch Zivilpersonen, die sie als „gegnerische Ziele“ ansähen, hervor. Oft seien sie mit Messern, Baseball-Schlägern oder Knüppeln bewaffnet. Vor allem in Magdeburg, Potsdam und Berlin seien ihm solche Gruppen mit bedrohlichen Posen, in einem Fall noch zusammen mit einem Kampfhund, begegnet. Gegen solche bewaffneten Angriffe sei die Verteidigung mit einer Schusswaffe - mit dem wichtigen Moment der Drohung des Warnschusses - notwendig und erforderlich.
- [13]
- Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
- [14]
- Zur Begründung wird ergänzend ausgeführt: Obwohl bisher meist Zweifel am Vorliegen eines Bedürfnisses zum Führen einer Schusswaffe bestanden hätten und die beteiligten Sicherheitsbehörden meist nur von einer abstrakten Gefährdung des Klägers ausgegangen seien, habe eine konkrete Gefährdung vom Innenministerium Baden-Württemberg in der Regel nicht ausgeschlossen werden können, so dass der Waffenschein des Klägers jeweils habe erteilt bzw. verlängert werden müssen. Unter Einbeziehung des Bundeskriminalamts, des Landeskriminalamts Baden-Württemberg sowie des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sei das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Schreiben vom 15.06.2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger als […] durch seine exponierte Stellung in der Gesellschaft zwar zu einer potentiellen funktionsimmanenten Risikogruppe gehöre. Bei keiner Sicherheitsbehörde lägen jedoch Erkenntnisse vor, die auf eine konkrete Gefährdung des Klägers oder auf eine Bedrohung der Organisation „[…]“ hindeuten würden. Der „abstrakten funktionsimmanenten Gefährdung“, die alle Sicherheitsbehörden übereinstimmend attestierten, werde bereits mit der Überwachung der Einrichtung des […] und des Wohnhauses des Klägers im Rahmen des Streifendienstes begegnet. Das Bundeskriminalamt habe in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass es sich bei den Internet-Beiträgen um eine Form des „Verbalradikalismus“ handele, die bei den Verfassern zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls, mithin zu einer Genugtuung und damit zu einer Impulsabfuhr führe. Dieser Umstand habe wiederum zur Folge, dass weitere Aktivitäten in der Regel ausblieben. Das Landeskriminalamt habe am 26.09.2011 dahingehend Stellung genommen, dass die vom Waffengesetz geforderte Gefährdung nicht gesehen werde. Darüber hinaus müsse die Schusswaffe auch geeignet und erforderlich sein, diese Gefahr zu mindern. Gegen verbale Attacken helfe keine Schusswaffe. Der Kläger müsse allenfalls mit einem Überraschungsangriff rechnen, gegen den eine wirksame Verteidigung auch mit einer Schusswaffe kaum möglich sei.
- [15]
- Auf Nachfrage des Gerichts hat das Innenministerium Baden-Württemberg mit Schreiben vom 24.01.2013 mitgeteilt, dass ihm keine Erkenntnisse über Aktivitäten, insbesondere krimineller Art, gegen Angehörige der Volksgruppen Roma und Sinti vorlägen. Es lägen auch keine Erkenntnisse zu einer besonderen Gefährdung des Klägers im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG vor. Das Bundeskriminalamt hat mit Schreiben vom 06.02.2013 auf die Anfrage des Gerichts erklärt: Wie bereits in der streitgegenständlichen Sache im Verwaltungsverfahren mitgeteilt, lägen dem Bundeskriminalamt aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität keine Erkenntnisse vor, die auf eine konkrete Gefährdung des Klägers hindeuteten. Da es in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) kein Erfassungsmerkmal „Sinti und Roma“ gebe, könne auch auf der Basis der PKS keine Aussage zum Umfang der Opferwerdung der Angehörigen von Sinti und Roma getroffen werden. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat mit Schreiben vom 18.01.2013 wie folgt Stellung genommen: Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg lägen keine statistischen Daten oder anderweitigen Erkenntnisse vor, die auf Aktivitäten - insbesondere krimineller Art - gegen Angehörige der Volksgruppe Roma und Sinti hindeuteten. Aus der polizeilichen Kriminalstatistik könne keine Aussage zur „Opferwerdung“ getroffen werden, da ethnische Gruppen nicht als Opfertyp ausgewiesen seien. Des Weiteren lägen keine Erkenntnisse zu einer besonderen Gefährdung des Klägers vor.
- [16]
- Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die öffentliche Sitzung, im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Ende des Dokumentauszugs
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