VG Karlsruhe | 19.02.2014 | Zitat
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- vom Mittwoch, 19. Februar 2014 02:00
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1- [23]
- Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtserforderliche realistische Einschätzung der gegebenen Verhältnisse (vgl. auch VG Stuttgart, Urteil vom 20. 09.2011 - 5 K 521/10 -, juris) führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund seiner bundesweit einmaligen Position als […] sowie seines öffentlichen Einsatzes für die Belange der Sinti und Roma jederzeit damit rechnen muss, dass er, geplant oder aber auch aus dem Moment heraus, von Neonazis oder Rechtsextremisten mit Gefahr für Leib und Leben angegriffen wird. Hiervon ging auch das Innenministerium des Beklagten im Ergebnis in den Jahren 1973 bis Anfang 2011, in denen der Kläger im Besitz eines Waffenscheins war, zu Recht aus. Seit 1973 wurde dem Kläger der Waffenschein aufgrund der zutreffenden Annahme erteilt, dass er als […] durch seine exponierte Stellung potentiell einem funktionsimmanenten Risiko ausgesetzt ist (vgl. das Schreiben Regierungspräsidium Karlsruhe vom 15.06.2011 an das Landratsamt Rhein-Neckar Kreis). Diese vom Beklagten in dem besonderen Fall des Klägers angenommene funktionsimmanente Gefährdung begründet bereits die überdurchschnittliche Gefährdung im Sinne von § 19 WaffG. Auch nach Einschätzung des Beklagten stößt das Aufdecken der gegen Sinti und Roma verübten Gräueltaten im Dritten Reich sowie das Wachhalten der Erinnerungen an im Dritten Reich ermordete Sinti und Roma durch den weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten Kläger sowie dessen politischer Einsatz für die Belange der Sinti und Roma bei Neonazis und Rechtsextremisten auf Ablehnung und löst deren Aggressionen und Feindseligkeit aus. Der Kläger ist diesen und der interessierten Allgemeinheit als Symbolfigur der deutschen Roma und Sinti aus Presse, Fernsehen und Internetveröffentlichungen bekannt. Neonazis und Rechtsextremisten können sich mühelos ein Bild vom Aussehen des Klägers und seinen Aktivitäten machen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, in der Öffentlichkeit häufig erkannt und mit Namen angesprochen zu werden. Nachvollziehbar hat er sich als das „Gesicht der Sinti und Roma“ bezeichnet. Dass der […] Neonazis und Rechtsextremisten bekannt ist, ergibt sich im Übrigen allein schon daraus, dass beim […] immer wieder Schmäh- und Drohbriefe eingehen und auch auf dessen Internetseite sich Einträge mit drohenden und feindseligen Äußerungen finden, in denen der Kläger auch teilweise namentlich benannt wird. Die Einrichtungen des [â ...
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VG Stuttgart | 5 K 521/10 | 20.09.2011
[ECLI:DE:VGSTUTT:2011:0920.5K521.10.0A]
LDJR 2011, 2224
L e i t s a t z
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Satz 1 WaffG sind mit denen des § 19 Abs. 1 WaffG gleichzusetzen. Dies bedeutet, dass der für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 55 Abs. 2 WaffG notwendige Gefährdungsgrad dem entspricht, der für die Annahme eines waffenrechtlichen Bedürfnisses i. S. v. § 19 Abs. 1 WaffG erforderlich ist.
2. Die Zugehörigkeit zu dem Berufsstand der Gerichtsvollzieher begründet für sich betrachtet noch keine wesentliche Mehrgefährdung i. S. v. § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG. Auch die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere die Existenz einer gewissen latenten Gefährdungslage, führen zu keiner individuellen erheblichen Mehrgefährdung des Klägers.
3. Der Besitz und das Führen einer Schusswaffe sind zur Minderung einer eventuellen Gefährdungslage auch nicht erforderlich i. S. v. § 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, da dem Kläger in seiner amtlichen Stellung als Gerichtsvollzieher ausreichend Handlungsoptionen zur Bewältigung eventuell drohender Gefährdungen zur Verfügung stehen.
V o r s p a n n
In der Verwaltungsrechtssache
- Kläger -
g e g e n
Waffenbehörde [...],
- Beklagte -
w e g e n
Waffenrechtlicher Genehmigung
hat das Verwaltungsgericht Stuttgart - 5. Kammer - [...] ohne mündliche Verhandlung am 20. September 2011 für Recht erkannt:
T e n o r
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
- [1]
- Der Kläger begehrt die Erteilung einer Bescheinigung über die Berechtigung zum Erwerb und Besitz von Waffen und Munition sowie zum Führen dieser Waffen.
- [2]
- Der Kläger steht als Beamter des mittleren Justizdienstes seit Juni 2003 im Gerichtsvollzieherdienst des Landes Baden-Württemberg und ist dem Amtsgericht [...] zugeordnet.
- [3]
- Mit Schreiben vom 02.05.2008 beantragte der Kläger die Erteilung einer waffenrechtlichen Ersatzbescheinigung nach § 55 Abs. 2 WaffG zum Zweck des Erwerbs, Besitzes und Führens einer Schusswaffe zum dienstlichen Gebrauch. Zur Begründung seines Antrages verwies der Kläger insbesondere auf in jüngerer Zeit vermehrt auftretende Probleme bei der Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen, indem etwa unter Androhung von körperlicher Gewalt und durch Beleidigungen versucht werde, den ordnungsgemäßen Ablauf seiner Amtshandlungen zu verhindern bzw. zu stören. Zudem handle es sich bei der überwiegenden Zahl seiner Amtsbezirke um soziale Brennpunkte mit einem hohen Anteil gewaltbereiter Bevölkerung.
- [4]
- Mit Schreiben von Anfang Juli 2008 wurde der Kläger von Seiten des Beklagten aufgefordert, das Bestehen einer individuellen konkreten und erheblichen Gefährdungslage im Einzelnen darzulegen, da dies Voraussetzung für die Erteilung der begehrten Bescheinigung sei. Der Beklagte wies darauf hin, dass in Anbetracht des Umstandes, dass für die derzeit im Landesdienst befindlichen 563 Gerichtsvollzieher lediglich 32 Waffenscheine bzw. Waffenbesitzkarten beantragt und ausgestellt seien, von keiner mit dem Gerichtsvollzieherdienst generell verbundenen erheblichen Gefährdungslage ausgegangen werden könne.
- [5]
- Der Kläger kam der Aufforderung des Beklagten mit Schreiben von 28.07.2008 nach. Darin führte er zunächst aus, dass seiner Ansicht nach die Berufsgruppe der Gerichtsvollzieher - zumindest in den letzten Jahren - wesentlich mehr als die Allgemeinheit in Ausübung ihres Dienstes gefährdet sei und führte dazu beispielhaft mehrere aus Presseberichten entnommene Fälle an. Auch in Baden-Württemberg seien in letzter Zeit entsprechende Vorfälle aufgetreten. Etwaige andere Waffen, wie etwa Pfefferspray, Schreckschusspistolen oder Taser seien zur Gefahrenabwehr nicht ausreichend. Der Kläger schilderte in seinem Schreiben darüber hinaus fünf konkrete Vollstreckungsverfahren, die seiner Ansicht nach das Bedürfnis für das Führen einer Waffe hinreichend begründen. Es habe sich im Wesentlichen Folgendes zugetragen:
- [6]
- (1) Bei einem Vollstreckungsversuch habe sich ein angetrunkener Schuldner in dessen Wohnung nach der Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung in bedrohlicher Weise unmittelbar neben an der Wand hängenden Waffen positioniert und mehrmals den Blick auf diese gerichtet. Nachdem das Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in Anbetracht des alkoholisierten Zustandes des Schuldners nicht habe durchgeführt werden können, sei es zunächst eingestellt worden. Der Kläger habe den Schuldner sodann zur Beruhigung in ein längeres Gespräch verwickeln können und habe im Anschluss die Wohnung verlassen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass künftig weitere Vollstreckungen bei diesem Schuldner durchgeführt werden müssen.
- [7]
- (2) Ein weiterer Schuldner sei bereits zum wiederholten Male während der Sprechstunde des Klägers durch ungehöriges Verhalten und Beleidigungen aufgefallen. So habe er bereits mehrmals geäußert, „dass er einem Gerichtsvollzieher mal gerne eins aufs Maul hauen würde“.
- [8]
- (3) In einem anderen Fall habe sich die Ehefrau eines Schuldners bei einer zwangsweisen Wohnungsöffnung unter Beschimpfungen von innen gegen die Wohnungstür gestemmt und versucht das Bein des Klägers in die Türe einzuklemmen. Erst auf die wiederholte Belehrung über die Strafbarkeit ihres Verhaltens sei die Gegenwehr aufgegeben worden. In einem anschließenden klärenden Gespräch habe sich die Ehefrau einsichtig gezeigt und es habe dem Schuldner die eidesstattliche Versicherung abgenommen werden können.
- [9]
- (4) Des Weiteren seien erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten bei einer bevorstehenden Zwangsräumung eines unter psychischen Störungen und Alkoholismus leidenden Schuldners.
- [10]
- (5) Ferner habe ein „Mietnomade“ nach einer erfolgten Zwangsräumung im Jahr 2007 dem Kläger gegenüber mehrmals telefonisch geäußert, dass ihm „die Räumung und der teilweise Verlust seines Eigentums noch leid tun werde“. Gegen diesen Schuldner liege dem Kläger nunmehr ein neuer Vollstreckungsauftrag vor.
- [11]
- Der Kläger vertritt die Auffassung, dass es in den beschriebenen Situationen letztendlich dem Zufall zuzuschreiben gewesen sei, dass es durch sein umsichtiges Handeln und seine Deeskalationsfähigkeit zu keinen Verletzungen gekommen sei. Ferner sei es nicht zulässig, zu jeder Amtshandlung um Unterstützung durch die Polizei nachzusuchen; hierfür sei vielmehr erforderlich, dass besondere Umstände des Einzelfalles erwarten lassen, dass der Vollstreckungshandlung Widerstand entgegengesetzt werde. Das Führen einer Schusswaffe sei darüber hinaus sowohl geeignet, eine Gefährdungsminderung herbeizuführen als auch als erforderlich anzusehen, da etwaigen Notwehrsituationen nicht in anderer zumutbarer Weise aus dem Weg gegangen werden könne. Der Kläger verweist dabei auf seine Stellung als Gerichtsvollzieher und damit maßgebliches Vollstreckungsorgan in der Bundesrepublik Deutschland, das gehalten sei die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchzuführen. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege habe er in eigener Entscheidungskompetenz die Erledigung seiner Dienstgeschäfte vorzunehmen.
- [12]
- Mit Schreiben vom 09.09.2008 bestätigte der Beklagte, dass der Kläger das Bestehen einer erheblichen und konkreten Gefährdungslage ausreichend substantiiert vorgetragen habe, es jedoch weiterhin am Nachweis der Sachkunde zum Führen von Waffen fehle. Mit Schreiben datierend auf den 02.10.2008 trug der Kläger im Einzelnen zu seiner Sachkunde zum Führen von Waffen vor, indem er auf die Ausbildung im Rahmen seines zehnmonatigen Grundwehrdienstes Bezug nahm.
- [13]
- Im Rahmen des weiteren Erteilungsverfahrens holte der Beklagte sodann Berichte von Dienstvorständen des Klägers ein. Diese befürworteten den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Waffenbescheinigung u. a. unter Hinweis auf die Persönlichkeitsstruktur des Klägers nicht.
- [14]
- Am 10.07.2009 teilte das Justizministerium Baden-Württemberg dem Kläger mit, dass keine hinreichenden Angaben für eine konkrete persönliche und erhebliche Gefährdung des Klägers gegeben seien und zudem aufgrund der vorliegenden Stellungnahmen der Dienstvorgesetzten erhebliche Zweifel an der erforderlichen Zuverlässigkeit bestünden.
- [15]
- Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 10.08.2009. In diesem führte der Kläger zunächst weitere gegen Gerichtsvollzieher gerichtete Vorkommnisse aus den Medien an und nahm zudem auf ein Schreiben des Oberlandesgerichts Stuttgart aus dem Jahr 1997 Bezug, in dem eine generelle Gefährdungslage von Gerichtsvollziehern bestätigt wurde. Der Kläger wies darüber hinaus erneut auf die Schwierigkeiten rechtlicher Art hin, die die generelle Hinzuziehung von polizeilichen Vollzugsorganen zu Vollstreckungshandlungen beträfen. Zudem sei es Gerichtsvollziehern insbesondere in städtisch anonym geprägten Wohngebieten nicht möglich, sich auf den jeweiligen Schuldner entsprechend einzustellen und eine potentielle Gefährdung vorab angemessen einzuschätzen. Zudem seien in mehreren Fällen von Kollegen Amtshilfeersuche an die Polizei durch die jeweilige Amtsleitung mit Hinweis auf die „dünne Personaldecke“ verweigert worden. Den Stellungnahmen der früheren Dienstvorgesetzten trat der Kläger entgegen.
- [16]
- Mit Bescheid vom 09.10.2009 lehnte der Beklagte sodann den Antrag des Klägers auf Erteilung einer waffenrechtlichen Ersatzbescheinigung ab. Zur Begründung der Ablehnung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass Voraussetzung für die Erteilung der Ersatzbescheinigung nach § 19 WaffG sei, dass der Kläger persönlich wegen seiner dienstlichen Tätigkeit wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben konkret gefährdet sein müsse und dass das Führen von Schusswaffen erforderlich und geeignet sein müsse, diese konkrete Gefährdung zu mindern. Dem bisherigen Vortrag des Klägers könne eine hinreichende Begründung für eine derartige konkrete Gefährdungslage nicht entnommen werden. Insbesondere seien die im Einzelnen geschilderten Vorfälle für die Feststellung einer besonderen persönlichen Gefährdung des Klägers nicht ausreichend und es lasse sich aus den benannten Vollstreckungsabläufen auch keine Situation erkennen, bei der der Einsatz einer Waffe zur Verhinderung einer möglichen Gefährdung erforderlich und geeignet gewesen sei. Die Vorfälle seien allesamt durch deeskalierendes Verhalten eines umsichtigen Gerichtsvollziehers zu lösen gewesen. Im Einzelnen führte der Beklagte aus, die benannten Vorfälle 2, 4 und 5 beträfen vorhersehbare Konflikte, die ohne weiteres durch Hinzuziehung der Polizei hätten entschärft werden können. Die Fälle 1 und 3 würden zwar unangenehme, aber nicht konkret bedrohliche Elemente aufweisen, denen ein Gerichtsvollzieher sich auch durch Abbruch der Vollstreckungshandlung hätte entziehen können. In keinem der dargestellten Fälle habe eine Gefährdungssituation vorgelegen, der nur durch Zuhilfenahme einer Schusswaffe adäquat hätte begegnet werden können. Bei auftretenden Problemen im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens sei der Gerichtsvollzieher vielmehr gehalten, Unterstützung durch Zuhilfenahme der polizeilichen Vollzugsorgane gem. § 758 Abs. 3 ZPO anzufordern. Im Übrigen könne im Fall der Eskalation die Vollstreckungshandlung vorerst abgebrochen werden. Die vom Kläger angeführte Verweigerung der erbetenen Amtshilfe in manchen Fällen anderer Gerichtsvollzieher sei für die im vorliegenden Fall zu treffende Einzelfallentscheidung hinsichtlich des Klägers nicht von Belang. Auch die weiteren angeführten Übergriffe auf andere Gerichtsvollzieher seien zur Untermauerung der persönlichen Gefährdung des Klägers nicht tauglich.
- [17]
- Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 26.10.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung nahm der Kläger zunächst auf seinen bisherigen Vortrag Bezug. Darüber hinaus verwies er auf einen erst kürzlich in seinem Amtsgerichtsbezirk erneut im Gerichtsvollzieherdienst aufgetretenen Vorfall, bei dem eine Kollegin bei der Durchführung einer Amtshandlung massiv bedroht worden sei. Dieser erneute Vorfall reihe sich in die Vielzahl der bereits dargelegten Vorkommnisse ein, die allesamt darauf hindeuten, dass zumindest in den letzten Jahren eine wesentlich höhere Gefährdung für den Gerichtsvollzieherdienst als für die Allgemeinheit bestehe.
- [18]
- Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2010 zurückgewiesen.
- [19]
- Zur Begründung wiederholte und vertiefte der Beklagte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem bisherigen Verfahren.
- [20]
- Mit dem am 15.02.2010 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
- [21]
- Zur Begründung der Klage führt er aus, der Beklagte habe die erhebliche Gefährdung des Klägers wegen der von ihm wahrzunehmenden hoheitlichen Aufgaben im Sinne des § 55 Abs. 2 WaffG verkannt. Die unzutreffende Rechtsanwendung des Beklagten werde bereits daran deutlich, dass er den Anspruch des Klägers am Maßstab des § 19 WaffG messe. Dies sei jedoch unzulässig, da es sich bei dem für Hoheitsträger geltenden § 55 Abs. 2 WaffG sowohl auf der Tatbestandsals auch auf der Rechtsfolgenseite um eine Spezialvorschrift gegenüber der für „Jedermann“ geltenden und strengere Anforderungen aufstellenden Vorschrift des § 19 WaffG handle. Für das Verständnis des § 55 Abs. 2 WaffG als Spezialvorschrift gegenüber § 19 WaffG spreche neben dem offensichtlich unterschiedlichen Wortlaut der beiden Vorschriften sowie der systematischen Stellung der Vorschriften innerhalb des Waffengesetzes insbesondere auch der Sinn und Zweck des § 55 WaffG. Dieser bestünde darin, der bei Hoheitsträgern grundsätzlich anzunehmenden besonderen Gefährdung Rechnung zu tragen und insoweit Befreiungen bzw. Erleichterungen bei der Ausrüstung dieser Personen mit Waffen zu schaffen, so dass naturgemäß weniger strenge Anforderungen als für „jedermann“ zu gelten haben.
- [22]
- Doch selbst dann, wenn man den Prüfungsmaßstab des § 19 WaffG zugrunde lege, bestehe ein Bedürfnis zum Besitz und Führen einer Waffe. Angesichts des Ausmaßes der ständig steigenden Gewaltbereitschaft gegenüber Hoheitsträgern könne keinerlei Zweifel daran bestehen, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Berufsgruppe der Gerichtsvollzieher wegen der wahrzunehmenden hoheitlichen Aufgaben erheblich mehr als die Allgemeinheit gefährdet sei. Es sei insoweit auch verfehlt, ausschließlich die vom Kläger selbst erlebten Gefährdungsfälle zu betrachten, da es auf eine einzelfallbezogene Betrachtung allein nicht ankomme.
- [23]
- Darüber hinaus sei der Besitz und das Führen einer Waffe zur Minderung seiner Gefährdung auch geeignet und erforderlich. In den typischen Gefährdungssituationen sei es - verglichen mit der bisher angewendeten Deeskalationsstrategie - wesentlich sicherer und effektiver, den Schuldner durch das Vorzeigen einer Schusswaffe von der Aussichtslosigkeit eines Angriffs zu überzeugen. Hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit des Führens einer Waffe sei die Betrachtungsweise des Beklagten realitätsfern und werde dem Schutzbedürfnis des Klägers nicht gerecht. Insbesondere die angeführten Deeskalationsmöglichkeiten seien in ihrer Wirkung viel zu ungewiss, als dass er hierauf verwiesen werden könne.
- [24]
- Der Beklagte habe im Übrigen noch bis vor kurzem im Sinne des § 55 Abs. 2 WaffG gehandelt und Gerichtsvollziehern in der Regel die beantragten Bescheinigungen erteilt. Von dieser Verwaltungspraxis werden nun in seinem Fall ohne nachvollziehbaren Grund abgewichen. In einem Schreiben des Oberlandesgerichts Stuttgart aus dem Jahr 1997 habe der damalige Präsident bestätigt, dass die in seinem Geschäftsbereich tätigen Gerichtsvollzieher bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Aufgaben generell als erheblich gefährdet gelten.
- [25]
- Im Hinblick auf den für die Erteilung der Bescheinigung erforderlichen Nachweis der Sachkunde führt der Kläger aus, dass nach ständiger bisheriger Praxis die Ableistung des Grundwehrdienstes mit entsprechender Schulung auf mehreren Waffentypen als ausreichend angesehen worden sei. Im Übrigen würden entsprechende Schulungen mit anschließender Prüfung im Rahmen von Wochenendkursen angeboten und könnten vom Kläger jederzeit absolviert werden.
- [26]
- Hinsichtlich der erforderlichen waffenrechtlichen Zuverlässigkeit und Eignung tritt der Kläger den Stellungnahmen früherer Dienstvorgesetzten erneut entschieden entgegen.
- [27]
- Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2010 zu verpflichten, dem Kläger eine Bescheinigung über die Berechtigung zum Erwerb und Besitz einer Waffe und Munition sowie zum Führen dieser Waffe zu erteilen.
- [28]
- Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
- [29]
- Zur Begründung wiederholt und vertieft der Beklagte seinen bisherigen Vortrag. Im Einzelnen wird Folgendes ergänzend bzw. erstmals ausgeführt:
- [30]
- Der Beklagte tritt zunächst der Rechtsauffassung des Klägers entgegen, der Anspruch auf Erteilung der begehrten Bescheinigung sei ausschließlich auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 WaffG zu prüfen, ohne dass es auf die Anforderungen des § 19 WaffG ankäme. Die sich aus § 19 WaffG ergebenden Voraussetzungen seien vielmehr auch dann zu prüfen, wenn eine Bescheinigung nach § 55 Abs. 2 WaffG begehrt werde. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 WaffG, der vorsehe, dass die Bescheinigung „an Stelle“ einer Waffenbesitzkarte oder eines Waffenscheins erteilt werde. Das in § 55 Abs. 2 WaffG genannte Merkmal der „erheblichen Gefährdung“ stimme daher mit den Anforderungen überein, die auch für die Annahme eines Bedürfnisses im Sinne des § 19 Abs. 1 WaffG erforderlich seien.
- [31]
- Im Hinblick auf das Vorliegen der inhaltlichen Voraussetzungen nach dem Maßstab des § 19 Abs. 1 WaffG, namentlich der Frage, ob der Kläger „wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben gefährdet“ ist, seien unter Berücksichtigung der allgemeinen Zielsetzungen des Waffengesetzes strenge Anforderungen zu stellen. Diese seien im Fall des Klägers angesichts der maßgeblichen konkreten Einzelfallbetrachtung und der allein entscheidenden objektiven Betrachtungsweise nicht erfüllt. Der Beklagte verweist insoweit ergänzend auf eine im Rahmen des Verwaltungsverfahrens durchgeführte Länderumfrage, die ergeben habe, dass auch die übrigen Landesjustizverwaltungen Gerichtsvollzieher aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit nicht als wesentlich mehr gefährdet ansehen. Zudem zeige auch die Entwicklung der letzten zehn Jahre in Baden-Württemberg, dass der Berufsstand der Gerichtsvollzieher selbst keineswegs von einer per se wesentlich höheren Gefährdung ausgehe. Während im Jahr 2000 von den damals 500 tätigen Gerichtsvollziehern noch 50 Beamte, mithin etwa 10 %, über eine waffenrechtliche Bescheinigung verfügt hätten, habe diese Zahl in den folgenden Jahren kontinuierlich abgenommen, so dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur noch 14 der 566 Beamten, d.h. rund 2,47 %, eine solche Erlaubnis besäßen. Zudem habe sich in den vergangenen fünf Jahren - abgesehen vom Kläger - kein einziger Beamter veranlasst gesehen, einen Antrag auf Ersterteilung einer waffenrechtlichen Bescheinigung zu stellen.
- [32]
- Der Beklagte vertritt darüber hinaus den Standpunkt, dass selbst wenn der Kläger das Vorliegen einer konkreten Gefährdung glaubhaft gemacht hätte, jedenfalls nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass eine Waffe nach den Umständen des konkreten Einzelfalls auch geeignet und erforderlich sei, die Gefährdung zu mindern. Im Hinblick auf die Frage der Geeignetheit sei zu berücksichtigen, dass diese nicht gegeben sei, wenn der Kläger in der typischen Verteidigungssituation von der Waffe keinen Gebrauch machen könne, ohne sich zugleich selbst zu gefährden oder bei realitätsnaher Betrachtung keine Zeit verbliebe, die Waffe zur Verteidigung einzusetzen. Eben hiervon sei jedoch im Fall des Klägers auszugehen, da er bei seinen Ortsterminen nicht von vornherein und ständig die Waffe schussbereit in der Hand haben könnte und zudem die potentiellen Angreifer in der Regel versuchen würden, ein Überraschungsmoment auszunutzen. Im Hinblick auf das Merkmal der Erforderlichkeit sei zu beachten, dass es hieran immer dann fehle, wenn sich die in Rede stehende Gefährdung auf zumutbare andere Weise verhindern oder wenigstens ebenso mindern lasse wie durch den erstrebten Besitz einer Schusswaffe. Dies sei im Fall des Klägers in Anbetracht von Deeskalationsmöglichkeiten, Unterstützungsmöglichkeiten durch die polizeilichen Vollstreckungsorgane und der letztendlichen Option des Abbruchs eines Vollstreckungsversuches anzunehmen.
- [33]
- Eine großzügigere Verwaltungspraxis vergangener Jahre sei rechtlich unerheblich, da die Entscheidung über die Erteilung einer waffenrechtlichen Genehmigung nicht im Ermessen des Beklagten stehe, sondern es im Rahmen der gebundenen Entscheidung nur darauf ankomme, ob der Genehmigungstatbestand im konkreten Einzelfall erfüllt sei. Auch dass dem Kläger zu Beginn des Verwaltungsverfahrens noch im Rahmen einer Zwischennachricht mitgeteilt worden sei, eine hinreichende Gefährdungslage sei glaubhaft gemacht, sei im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung über die Rechtmäßigkeit der Versagungsentscheidung ohne Belang. Die Änderung der Rechtsauffassung nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage begründe auch keinen formellen Fehler, weil dem Kläger im Laufe des Verwaltungsverfahrens die geänderte Rechtsauffassung des Beklagten deutlich zu erkennen gegeben worden sei. Soweit der Kläger andeute, der Beklagte sei in seinem Fall aus willkürlichen Gründen von seiner bisherigen Rechtsauffassung abgerückt, so tritt der Beklagte dem entschieden entgegen. Erstanträge auf Erteilung einer waffenrechtlichen Genehmigung seien ohnehin bereits seit fünf Jahren nicht mehr gestellt worden und auch im Fall von Verlängerungsanträgen habe der Beklagte jeweils im Einzelfall geprüft, ob eine wesentlich höhere Gefährdung weiterhin vorliege.
- [34]
- Abschließend führt der Beklagte an, die eingeholten Stellungnahmen früherer Vorgesetzter des Klägers seien ausdrücklich im Zusammenhang mit der Frage der Erteilung der waffenrechtlichen Bescheinigung abgegeben worden. Darüber hinaus habe der Kläger den erforderlichen Sachkundenachweis bislang nach wie vor nicht erbracht, da hierzu der Hinweis auf die Ableistung seines zehnmonatigen Grundwehrdienstes nicht ausreiche. Zudem bedürfe es angesichts des fehlenden waffenrechtlichen Bedürfnisses des Klägers keiner weiteren Vertiefung, ob der Kläger auch über die erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung verfüge.
- [35]
- Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
- [36]
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
»ENDE DES DOKUMENTAUSZUGS«